Wie arbeitet ein Lavet-Motor in einem Quarzuhrwerk?

Auf der Seite mit der Bauanleitung für einen Mutteruhrersatz ist die Funktion eines Lavet-Motors in einem Nebenuhrwerk erläutert. Die dort gezeigte Darstellung gilt leider nicht für gängige Quarzuhrwerke in Wanduhren oder Weckern. Mit (teil-) defekten Werken wurde etwas geforscht: jetzt kann man sich erklären, wie der Motor in diesen Werken arbeitet.
 
BildMitLavetMotor Links sieht man eine Nahaufnahme eines aktuellen und billigen (< € 3) quarzgesteuerten Wanduhrwerks. Man sieht nur einen Teil des Stators und der Erreger-Spule. Der Rotor selbst ist herausgenommen, er klammerte sich mit einem Pol an den Stator, stand schief und störte das Bild. Gelb dargestellt ist der Magnet des Rotors, ein Hohlzylinder.

Mit einem Oszilloskop wurde geprüft, wie die Erregerspannung der Spule aussieht: Auch hier sind es Polwechselimpulse
, mit f = 0,5 Hz wegen des Sekundenzeigers, die wechselweise nach +1,5 V und -1.5 V ausschlagen, mit einer Impulsdauer von ca. 30 msec



Wie kommt die eindeutige Drehung zustande, d. h. warum läuft die Uhr in genau eine Richtung? Wo ist das auf der Mutteruhrersatzseite erwähnte "magnetische Joch" zur Festlegung der Ruhestellung zwischen des Impulsen?

Der erste Blick geht auf den Rotor: Dieser ist aus stark magnetischen Material hergestellt, die Magnetisierung ist eingezeichnet.

Vom U-förmigen Stator sehen wir nur den äußersten Pol-Bereich. Der Stator läuft unten nach links durch die Spule und kommt oben wieder zurück. Die Pole sind mit "A" und "B" bezeichnet. Man sieht, dass die Polschuhe 1 und 3 kleiner und länger sind als die anderen beiden. Nachgemessen ist der Durchmesser 1 - 3 = 6 mm, der andere 6,5 mm.
 

Ohne Erregung, in der Ruhezeit, gilt der reine Magnetismus und der Rotor
orientiert sich nach dem Einsetzen sofort mit den Rotor-Polen an den beiden Schuhen mit dem kleinen Abstand 1 und 3. Das magnetische Feld, grün angedeutet, läuft durch den Stator und schließt damit den magnetischen Kreis Nord => 1 => (durch den Stator) => 3 => Süd. Dieser Weg ist wegen der geringeren Spaltbreite "magnetisch" kürzer, hat den geringeren magnetischen Widerstand (Reluktanz) und ist deshalb die Ruhelage. Diese Ruhelage ist stabil und hält z. B. den Sekundenzeiger in der waagrechten Ausrichtung bei 15 s und 45 s.

Wird ein Impuls auf die Spule gegeben, dann gilt für die Impulszeit von 30 ms der Elektromagnetismus und zwischen den Statorpolen
wird ein komplexes Magnetfeld mit zwei Strängen aufgebaut. Dieses kann man an dem Feldbild mit Eisenfeilspänen oben sehen und ist links durch die beiden roten Flächen angedeutet: Ein Strang läuft von 1 nach 4, der andere von 3 nach 2. Alle anderen Feldlinien sind nicht dargestellt, da für die Funktion unwichtig und zu schwach. Auf Grund der unterschiedlichen Schuhformen ist die Feldstärke an den Schuhen 1 und 3 höher als an den Schuhen 2 und 4, das Feld "fächert" sich dort auf.

Das durch den Stromimpuls durch die Spule aufgebaute magnetische Feld muss deutlich stärker sein als das vom magnetischen Rotor induzierte, da es gegenläufig orientiert sein muss, um den Rotor zu beschleunigen. Hätte es denselben Betrag, dann würde sich der magnetische Fluss zu Null summieren und der Rotor wäre frei drehbar. Dann könnte z. B. ein Sekundenzeiger in der 15 s oder 45 s Stellung nach unten fallen.

Nehmen wir an, ein Impuls macht
A zum Nordpol und B zum Südpol: Nord- und Südpol des Rotors werden abgestoßen bzw. angeschubst. Der Nordpol wird in Richtung auf 4 und der Südpol in Richtung auf 2 durch Anziehungskräfte beschleunigt. Durch den größeren Abstand kommt aber kein Stopp an 4 bzw. 2 zu Stande, der Rotor dreht weiter und jetzt setzen Anziehungskräfte durch die Pole 3 bzw. 1 ein. Schließlich kommt der Rotor mit den Polen an den Schuhen 1 und 3 in die stabile Ruhelage. Ggf. schwingt er über diese Stellung wegen des Massenträgheitsmoments des Sekundenzeigers hinaus und kehrt zurück. Das kann man bei Wanduhren mit längerem Sekundenzeiger so beobachten. Der nächste Sekunden-Impuls kommt mit der umgedrehten Polung, der Vorgang wiederholt sich, aber um 180° verdreht.

Hat sich beim Einsetzen der Rotor um 180° gedreht orientiert, so bleibt der erste Impuls ohne Wirkung, aber danach läuft das Werk wie zuvor beschrieben.

Das "magnetische Joch", die Ruhelage, wird also durch die Pole 1 - 3 dargestellt.

Kann man das Quarz-Uhrwerk zum Rückwärtsläufer  umbauen? Ja, erfolgreich ausprobiert! Man muss das Werk auseinandernehmen. Liegt eine Konstruktion wie hier gezeigt vor, dann zieht man das Stator-U aus der Spule und steckt es um 180° um die Längsachse
gedreht wieder rein. In meinem Werk musste zuvor noch ein kleines Loch für einen Passerstift gebohrt werden, dieser sitzt in dem obigen Bild mit der grünen Magnetfeldlinie oben links. Mir dem Drehen vertauscht man 1 <=> 4 und 2 <=> 3, der Drehsinn der Stator-Schuhe ist damit umgedreht und die Rotor-Ruhelage um 90° versetzt. Das Werk läuft jetzt "rückwärts" (wenn man das Werk wieder heil zusammen bauen konnte!).




Wer schon früher mal hier auf dieser Seite war, hat sich damals vielleicht über die eingezeichnete, aber eigenartige N-S-Orientierung des Rotors gewundert.

Sie ist bei dem ersten demontierten Werk wirklich so vorgefunden worden. Fängt man mit der Ruheorientierung wie links dargestellt an, dann hat diese sogar Vorteile gegenüber der oben gezeigten 12-6-Uhr Anordnung der Pole des Rotors. Denn wird durch den Impuls auf A (1 und 2) ein Nordpol gelegt, dann wird der Rotor durch Abstoßen den N-Pols und Anziehen des S-Pols beschleunigt, im Gegensatz zu den beiden Anschubsbeschleunigungen, wie oben gezeigt.

Das klingt logisch und scheint konstruktiv so gewollt.


Was aber, wenn sich der Rotor mit dem S-Pol in die Ruhestellung begibt, wie links gezeigt?

Wenn der erste Impuls wie oben 1 zum N-Pol macht, geschieht nichts, denn der S-Pol des Rotors wird angezogen. Beim nächsten Impuls wird 1 zum S-Pol und der S-Pol des Rotors wird abgestoßen. Nun ist aber 3 während des Impulses ein N-Pol und übt Abstoßungskräfte auf den N-Pol des Rotors auf! Dummerweise bewegt sind der S-Pol des Rotors in den schwächeren Bereich des Felds 1 - 4, während der N-Pol des Rotors gegen den starken Schuh 3 gedrückt wird. Das Abstoßmoment, das der N-Pol des Rotors erzeugt, nimmt mit dem Drehwinkel zu, während es für seinen S-Pol abnimmt. Es kommt kein Springen auf die nächste stabile Lage, S-Pol an 3, zustande! Mit dem Ende des Impulses fällt der Rotor in die alte Lage zurück.

Von außen sieht man den Sekundenzeiger zappeln: Er versucht, auf den nächsten Sekundenstrich zu springen, wird aber zurückgeworfen und bleibt auf demselben Strich stehen.
Der Sekundenzeiger der Quarzwerks bleibt hängen, die Uhr steht, obwohl sie tickt.


In der Einleitung wird von einem (teil-) defekten Werk gesprochen. In der Tat war es ein billiger Wecker eines großen schwedischen Möbelhauses, der genau diesen zappelnden Sekundenzeiger nach einem erforderlichen Batteriewechsel (nicht dem ersten!) plötzlich zeigte. Das war der Grund, das Werk auseinander zu nehmen, denn normalerweise nimmt man ein Uhrwerk nicht ohne Grund auseinander. Damit begannen die Studien über die Funktion, denn die Suche nach einem blockierenden Fremdkörper im Räderwerk der Uhr war ohne Erfolg.

Von Softwareinherstellern wird manmal als Antwort auf Beschwerden über Fehler bei der Programmbenutzung (scherzhaft) geantwortet: "It's not a bug, it's a feature!"
So nahm ich denn diese eigenartige Orientierung als geplant, als "feature" an; heute beurteile ich das als Fertigungfehler, als "bug", der zuerst einmal verborgen blieb und
erst nach Jahren Folgen hatte! Oder vielleicht auch nie aufgefallen wäre.




Version: 1.11  Copyright: Rolf Süßbrich, Dortmund,  03.02.2016